Halten und Zurückhalten
Absturzgefährdete Bereiche gibt es bei Feuerwehreinsätzen immer wieder und zum Schutz und zur Eigensicherung der Einsatzkräfte ist es erforderlich, dass sie wissen, wie sie sich und andere entsprechend sichern müssen.
Wir verfügen über einen Gerätesatz Absturzsicherung und eine Ausbildung zur Handhabung speziell für den Bereich Halten und Zurückhalten ist für jedes Mitglied der Einsatzabteilung wichtig.
Die Ausbildung übernahm Frank Schubert
als ehemaliges aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Wildemann, jetzt Berufsfeuerwehrmann und Ausbilder für Höhenrettung und Absturzsicherung. Zudem ist Frank in der "Ausbildungsgemeinschaft Absturzsicherung" der Freiwilligen Feuerwehren Bückeburg, Rinteln und Rodenberg und als Berater im Bereich der Absturzsicherung (siehe: http://www.st-sicherheitsberatung.de/index.html) tätig.
Im Rahmen des Freitagsdienstes wurden die Theoretischen Grundlagen vermittelt und diese am Samstagmorgen im praktischen Teil (siehe Fotos) umgesetzt.
Ausführungen der Feuerwehrunfallkasse (FUK)
Absturzgefährdete Bereiche
Nach den einschlägigen Vorgaben gelten Höhenunterschiede von mehr als einem Meter in der Regel als ausreichend, um einen absturzgefährdeten Bereich zu definieren. Auf Baustellen gibt es zwar auch Ausnahmen, z. B. im Gerüstbau, die hier jedoch nicht betrachtet werden sollen. Aus diesem Grund haben Treppen mit nur wenigen Stufen häufig Geländer – zur Absturzsicherung von Personen. Bei der Definition zum absturzgefährdeten Bereich ist es unerheblich, ob der Feuerwehrangehörige sich erst auf diesen Höhenunterschied aktiv begeben muss oder ob dieser natürlich vorhanden ist. Somit ist das Dach in der eingangs benannten Unfallanzeige, aber auch eine Arbeitsgrube im Feuerwehrhaus, eine Spundwand am Hafenbecken, eine Güllegrube auf einem landwirtschaftlichen Betrieb oder ein Kanaleinstieg in einer öffentlichen Kanalisation als absturzgefährdeter Bereich zu sehen. Nicht nur Punkte, die sich oberhalb des Geländes befinden, können absturzgefährdete Bereiche sein, sondern auch Punkte unterhalb des Geländes.
Ein Blick in die Unfallverhütungsvorschrift „Feuerwehren“ (GUV-V C53) liefert zum Thema Absturzsicherung das nachstehende Schutzziel (§ 28 Abs. 2): Stellen mit Absturzgefahr dürfen nur betreten werden, wenn Sicherungsmaßnahmen gegen Absturz getroffen sind. Die zugehörige Durchführungsanweisung liefert zwar einige Hinweise darauf, wie dieses Schutzziel erreicht werden kann, aber eine Handlungsanleitung für einen Feuerwehreinsatz wird hier nicht gegeben. Was ist also zu tun bzw. zu lassen?
… der Schlüssel zum Erfolg
Um sich dem Thema Absturzsicherung sinnvoll zu nähern, ist es zwingend erforderlich, drei Fälle zu unterscheiden. Diese drei Definitionen sind wichtig, wenn es darum geht, welche Materialien eingesetzt werden können und welche Ausbildungen erforderlich sind. Die hier vorgestellten Unterscheidungen werden übrigens auch in der Feuerwehr-Dienstvorschrift 1 „Grundtätigkeiten“ (Stand: März 2007) in Punkt 17 gleichlautend festgelegt – ein Blick in diese Vorschrift lohnt sich also.
Fall 1: Absturzsicherung durch Zurückhalten bzw. Halten
Bei dieser Methode ist sicher auszuschließen, dass der Feuerwehrangehörige, der sich im absturzgefährdeten Bereich aufhalten muss, abstürzen kann!
Die beste und häufig sinnvollste Variante ist es, die Gefahrenquelle zu eliminieren. So kann die Arbeitsgrube im Feuerwehrhaus oder ein notwendiger Zugang für das Rührwerk zur Güllegrube mit ausreichend dimensionierten Rosten abgedeckt werden. Beim Kanaleinstieg gibt es häufig einen tragfähigen Deckel.
Kann die Gefahrenquelle nicht beseitigt werden, hat eine Trennung von Mensch und Gefahr zu erfolgen. Dieses wird durch Zurückhalten erreicht. Das Zurückhalten kann beispielhaft mit einer baulichen Einrichtung, einem Geländer erfolgen oder mit Hilfsmitteln der Feuerwehr sichergestellt werden. So hat jede Feuerwehr in Niedersachsen Feuerwehrleinen und Feuerwehr-Haltegurte. Muss zum Beispiel ein Feuerwehrangehöriger auf einem Flachdach einer Garage in der Nähe der Dachkante Arbeiten verrichten, ist dieser mit einem Haltegurt und einer Leine so zu sichern, dass sein Aktionsbereich zwei Meter (in begründeten Ausnahmen auch ein Meter) vor der Absturzkante endet. Die gleiche Variante kommt auch bei der Spundwand am Hafenbecken zur Anwendung. Ziel des Zurückhaltens ist es, dass der Feuerwehrangehörige durch seinen begrenzten Laufweg die Absturzkante nicht erreichen kann – auch wenn etwas Unvorhergesehenes eintritt (Windstoß, Knall, Zuruf, Brandrauch). Es versteht sich von selbst, dass der Festpunkt, an dem die Feuerwehrleine mit einem Mastwurf (der mit einem Spierenstich zu sichern ist) befestigt wird, in der Lage sein muss, die notwendigen Kräfte aufzunehmen. Eine einfache Dachlatte erfüllt in der Regel diese Anforderung nicht – ein stabileres Bauteil, beispielhaft ein Dachsparren, ist angezeigt.
Eine Sicherung des Atemschutzgeräteträgers wäre im eingangs benannten Fall recht einfach möglich: mit einer Standplatzsicherung. Was hindert den Atemschutzgeräteträger daran, das Seil vom Feuerwehr-Haltegurt um einen Dachsparren zu führen und den Karabinerhaken wieder in den Gurt einzurasten? An den Nachteil der geringeren Bewegungsfreiheit kann man sich, wenn man es einmal ausprobiert, gewöhnen. Eine Standplatzsicherung kann auch auf Leitern eingesetzt werden, wie ein Blick in die FwDV 1 verrät.
Eine Alternative zur Standplatzsicherung ist das Halten mit Feuerwehrleine und Feuerwehr-Haltegurt. Auch hier ist die oberste Bedingung: Ein freier Fall muss ausgeschlossen sein! Ein freier Fall ist dann ausgeschlossen, wenn die Feuerwehrleine immer straff von oben geführt wird. Hätte man im Eingangsbeispiel eine Feuerwehrleine straff über den Dachfirst mit einem Kantenschutz geführt und den Atemschutzgeräteträger mit einem Feuerwehr-Haltegurt ausgestattet, wäre ein Absturz vermieden worden. Ein Vorteil gegenüber der Standplatzsicherung ist, dass der Atemschutzgeräteträger sich quasi frei auf dem Dach bewegen kann. Die Feuerwehrleine ist, wie bereits erwähnt, durch einen weiteren Feuerwehrangehörigen straff zu halten – auch bei einem Aufstieg. Auch hier gilt, der Anschlagpunkt muss alle Kräfte, die entstehen, aufnehmen können. Ist eine Drehleiter nutzbar, kann die Feuerwehrleine mit dieser auch variabel von oben geführt werden. Dies ist z. B. auf einem Flachdach angezeigt, wenn die Dachhaut mit einer Motorsäge geöffnet und eine Schwächung der Dachkonstruktion nicht ausgeschlossen werden kann. Kommt es zu einem Versagen des Untergrundes, hängt der Feuerwehrangehörige sofort in der straff geführten Leine und stürzt nicht ab.
Alle Varianten des Zurückhaltens und Haltens sind Bestandteil der Feuerwehr-ausbildung nach den Feuerwehr-Dienstvorschriften und müssen von allen Feuerwehrangehörigen beherrscht werden. Insbesondere das sichere Beherrschen von geeigneten Knoten (Mastwurf, Halbmastwurf, Pfahlstich und Spierenstich) ist wichtig und sollte des Öfteren im regulären Dienst geübt werden.
Feuerwehrleinen und Feuerwehr-Haltegurte sind nach jedem Gebrauch durch den Nutzer einer Sichtprüfung zu unterziehen und nach Schäden verursachenden Ereignissen, mindestens jedoch einmal jährlich, durch einen Sachkundigen zu prüfen (siehe auch FUK-News 2/2009). Sachkundige sind in diesem Fall u. a. die an einer Niedersächsischen Landesfeuerwehrschule ausgebildeten Gerätewarte.
Nun können Sie als Leser sich selbst ein Frage beantworten: Ist es erlaubt, Abseilübungen mit Feuerwehrleinen, einem Feuerwehr-Haltegurt und Rettungsbund durchzuführen? Die Antwort lautet: Ja, wenn sichergestellt ist, dass beide Feuerwehrleinen (die Leine zum Abseilen und die Leine für den Rettungsbund) straff von oben geführt werden, die Anschlagpunkte für diese Aufgabe geeignet sind und die Feuerwehr-Dienstvorschrift 1 beachtet wird. Ein Absturz ist ausgeschlossen, selbst wenn der Feuerwehrangehörige einen Fehler macht. Ein redundantes System ist mit dem Rettungsbund aufgebaut worden. Zur Vollständigkeit sei noch erwähnt, dass gewisse Höhen nicht überschritten werden dürfen, der Rettungsbund mit einem Pfahlstich und Spierenstich gesichert und am Feuerwehr-Haltegurt ein Halbmastwurf oder die Multifunktionsöse zu nutzen ist. Das dreifache Eindrehen der Feuerwehrleine ist nicht mehr zulässig – siehe FwDV 1.
Wird der Gerätesatz Absturzsicherung nach DIN 14800 Teil 17 ausschließlich zum Halten und Zurückhalten eingesetzt, benötigen die Feuerwehrangehörigen lediglich eine Unterweisung während eines Dienstabends (2 Stunden). Als Ausbilder kann beispielhaft ein Gruppenführer ausgewählt werden, der die Fortbildung „Absturzsicherung“ gemäß den EUSR-Empfehlungen (24 Stunden, EUSR = European Union Special Rescue) absolviert hat.
Fall 2: Auffangen
Kann ein Absturz nicht sicher ausgeschlossen werden, da beispielhaft die Feuerwehrleine nicht straff von oben geführt werden kann, kommt der Gerätesatz Absturzsicherung nach DIN 14800 Teil 17 zu Anwendung. Zu beachten ist, dass ein gewolltes freies Hängen oder Arbeiten im Seil mit diesem Gerätesatz nicht statthaft ist.
Im Gegensatz zum Halten bzw. Zurückhalten ist es nun beim Auffangen zwingend erforderlich, dass alle Nutzer des Gerätesatzes Absturzsicherung die dreitägige (24 Stunden) Fortbildung „Absturzsicherung“ gemäß den EUSR-Empfehlungen absolviert haben. Die Nutzer können diese Fortbildung an einer Niedersächsischen Landesfeuerwehrschule durchlaufen oder feuerwehrintern ausgebildet werden. Soll eine feuerwehrinterne dreitägige Fortbildung „Absturzsicherung“ durchgeführt werden, kann dies beispielhaft ein gemäß den EUSR-Empfehlungen ausgebildeter Höhenretter (80 Stundenlehrgang, BKS Heyrothsberge) mit didaktischen Kenntnissen (z. B. Ausbilder gemäß FwDV 2) leisten.
Um den Gerätesatz Absturzsicherung sinnvoll einsetzten zu können, benötigt man an einer Einsatzstelle mindestens zwei Personen, die die Fortbildung „Absturzsicherung“ absolviert haben. Ein Feuerwehrangehöriger sichert, ein weiterer steigt vor. Unter diesen Rahmenbedingungen ist die Feuerwehr in der Lage, Gittermasten, Krane, Windkraftanlagen, Antennenanlagen etc. zu erklettern. Eine Personenrettung ist mit diesem Gerätesatz und mit dieser Ausbildung jedoch nicht möglich. Sind also Personen zu retten oder Arbeiten frei hängend im Seil auszuführen, sind der Gerätesatz Absturzsicherung und die Fortbildung „Absturzsicherung“ nicht ausreichend. Ohne Zweifel können mit dem Gerätesatz Personen gesichert werden, so dass eine herbeigerufene Feuerwehr mit Höhenretter die Rettung vornehmen kann. Damit stellen der Gerätesatz und die Ausbildung ein Hilfsmittel zur Sicherung von absturzgefährdeten Personen für den Ersteinsatz dar.
Um einen erneuten Brückenschlag zur FUK-News 2/2009 mit dem Leitthema Geräteprüfung vorzunehmen, ist der Gerätesatz nach jedem Gebrauch einer Sichtprüfung durch den Nutzer zu unterziehen und, analog zu Feuerwehr-Haltegurt und Feuerwehrleine nach Schäden verursachenden Ereignissen, mindestens jedoch einmal jährlich, durch einen Sachkundigen zu prüfen. Abweichend vom Sachkundigen für die Prüfung von Feuerwehr-Haltegurten und Feuerwehrleinen ist für die Prüfung vom Gerätesatz Absturzsicherung die Gerätewartausbildung nicht mehr ausreichend. So kann der Sachkundenachweis für die Sachkundeprüfung zum Beispiel beim Hersteller des Gerätesatzes in Form eines Lehrgangs mit Befähigungsnachweis erbracht werden. Alternative Lehrgänge und Anbieter sind möglich, wichtig ist jedoch, dass ein Befähigungsnachweis zur Sachkunde für die Prüfung des Gerätesatzes ausgestellt wird. Die Anforderungen für den Sachkundigen zur Prüfung vom Gerätesatz Absturzsicherung werden im BG-Grundsatz BGG 906 festgelegt.
Fall 3: Spezielle Rettung aus Höhen und Tiefen (SRHT, Höhenrettung)
Müssen (verletzte) Personen auf- oder abgeseilt werden oder sind Arbeiten im frei hängenden Seil notwendig, sind weder der Gerätesatz Absturzsicherung noch Feuerwehrleine mit Feuerwehr-Haltegurt ausreichend. Von diesem Grundsatz sollte nur abgewichen werden, wenn Menschenleben akut gefährdet sind. Also nur in begründeten Ausnahmesituationen.
Der Regelfall einer Personenrettung, z. B. von einem Kranausleger, erfolgt durch eine Höhenrettungsgruppe. Eine Feuerwehr mit dem Gerätesatz Absturzsicherung und entsprechend ausgebildeten Feuerwehrangehörigen kann zu der Person bereits vor dem Eintreffen der Höhenrettungsgruppe vorsteigen, die Person gegen Absturz sichern und betreuen. Das Abseilen erfolgt durch die Höhenrettungsgruppe.
Ein Höhenretter muss nach der EUSR-Empfehlung eine Ausbildung von 80 Stunden an einer zugelassenen Ausbildungsstelle durchlaufen. Ein Ausbilder für Höhenretter durchläuft die doppelte Anzahl von Ausbildungsstunden, also 160 Stunden. Höhenretter, als auch Ausbilder für Höhenretter, werden körperlich besonders belastet. Dies hat zur Folge, dass spezielle arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen notwendig werden. Die EUSR-Empfehlung gibt die G 25, G 26/3 und G 41 vor.
Anhand dieser drei Fallunterscheidungen sollte deutlich werden, welches Einsatzspektrum die Feuerwehr mit dem vorhandenen Material und Personal abdecken kann. Sofern sich im Ausrückebereich besondere Einsatzschwerpunkte herausstellen, kann nun seitens der Feuerwehr-Führung entsprechend im Vorfeld darauf reagiert werden. So ist es sicherlich nicht schädlich, sich darüber zu informieren, wo Gerätesätze oder Höhenrettungsgruppe vorhanden sind. Des Weiteren kann ebenfalls abgeklärt werden, ob ein Ausbildungsbedarf besteht.
Abgeschlossen werden soll das Thema mit einer Besonderheit:
… Notfallsituation Hängetrauma:
Ein Hängetrauma kann entstehen, wenn eine Person für eine längere Zeit (Zeitspanne ca. 20 Minuten) bewegungslos in einem Auffanggurt oder Feuerwehr-Haltegurt frei hängt. Der Rückstrom des Blutes aus den Beinen wird behindert bzw. bricht vollständig zusammen. Das Blut versackt und führt zu einem Schock. Wichtig ist zu wissen, dass die sonst üblichen Erste-Hilfe-Maßnahmen wie Flachlagerung oder Schocklage lebensgefährlich sein können. Das Herz ist nicht in der Lage, das nun massiv zurückströmende Blut aus den Beinen zu verarbeiten. Fällt ein Feuerwehrangehöriger in einen Haltegurt bzw. Auffanggurt, ist schnelles Handeln notwendig, damit das freie Hängen zeitlich begrenzt wird. Das schließt ein, dass entsprechendes Material und Personal zur Hilfe vorhanden sein muss. Treten erste Anzeichen eines Hängetraumas auf, ist unverzüglich ein Notarzt (möglichst mit entsprechender Erfahrung) hinzuzuziehen. Unter dem Titel „Erste Hilfe – Notfallsituation: Hängetraumas“ hat der Fachausschuss „Erste Hilfe“ der DGUV eine Broschüre heraus gegeben, die dieses Thema ausführlich behandelt.